PANTHA DU PRINCE - CONFERENCE OF TREES
Mit „Conference Of Trees“ veröffentlicht Hendrik Weber sein sechstes Album als Pantha du
Prince (wenn man von Remix-, bzw. Versions-Alben absieht). Und wie man es von ihm
gewohnt ist, ist es ein Konzeptalbum. Anders wäre es für ihn, der sich zwischenzeitlich auch
schon überlegt hat, sich ganz von der Musik zu verabschieden, wohl gar nicht denkbar. Aber:
„Wenn man ein gutes Thema hat, dann wird man getragen“, sagt er.
Ein gutes Thema bedeutet für Hendrik ein umfassendes Research. Bäume und Wälder sind
für ihn seit der Kindheit ein wichtiges Interessensgebiet, Begeisterung und Faszination, aber
auch eine Portion Wissen waren bei ihm also schon da. Die weitere Beschäftigung mit dem
Thema brachte ihn zu den Arbeiten von Fred Hageneder („Der Geist der Bäume“ – „sehr
fundierte Esoterik“, so Hendrik), Erwin Thomas („Die geheime Sprache der Bäume“) und
Suzanne Simard („How Trees Talk To Each Other“) und schließlich Fariduddin Attar, einem
Sufi-Mystiker aus dem 12. Jahrhundert, zu dessen Hauptwerken die Erzählung „Die
Konferenz der Vögel“ gehört. So entstand ein Bild der Kommunikation zwischen Bäumen und
der Vielstimmigkeit von Wäldern. In naturnahen Kulturen ist diese Kommunikation immer
Teil der Kosmologie gewesen, der Respekt vor Bäumen und Wäldern entsprechend groß. In
der westlichen Moderne geriet dieses Wissen in Vergessenheit und stand dem Willen, sich
die Erde untertan zu machen, entgegen. Nun werden diese verschütteten Erkenntnisse unter
anderem von Zellbiologen wieder ans Tageslicht gebracht. In Zeiten der Klimakrise finden
sich hierin womöglich alternative Wege, der drohenden Katastrophe entgegen zu wirken.
Dafür wäre es sinnvoll, in einen Dialog mit den Bäumen zu treten. „Conference Of Trees“
symbolisiert einen solchen Austausch, indem es für die Kommunikation der Bäume eine
musikalische Sprache sucht. Auf höchst unterschiedlichen Instrumenten – vom klassischen
Cello, über jede Menge Klanghölzer und Glocken in unterschiedlichen Stimmungen bis zu
selbstgebauten Instrumenten und Elektronik – schufen Weber und seine vier Mitmusiker
eine zehnteilige Suite, die das Ergebnis eines Austauschs auf verschiedenen Ebenen ist:
Austausch zwischen einzelnen Musikerpersönlichkeiten genauso wie Austausch zwischen
440-Hz- und 429-Hz-Tunings, unterschiedlichen Herangehensweisen an Instrumente, ja
Klangerzeugung generell. Die Musik ist von der ersten Sekunde an hoch intensiv und
permanent in Entwicklung, rollt machtvoll voran wie eine Welle über den Ozean. Dabei
entfaltet sich ein Kosmos an Details und auch wenn sich die klangliche Charakteristik von
Stück zu Stück ändert, bleibt die Struktur die ganze Zeit über dialogisch.
Das Album beginnt mit einem geradezu überwältigenden Schönklang, mit reicher, satter
Entspanntheit, und wird dann langsam immer aufgeregter. Es dauert nicht lang und man hat
das Gefühl, sich in einer leidenschaftlichen Debatte zu befinden. In „Holding the Oak“
kommt eine gewisse Verstörung hinzu, irgendwo in weiter Ferne sind Stimmen zu
vernehmen, die tiefenentspannte Idylle ist nunmehr einer fast düsteren Besorgtheit
gewichen. Ab „When we talk“ kommt den (menschlichen) Stimmen immer mehr Gewicht zu,
das Ganze bekommt eine urbane Note, nicht zuletzt durch Hinzunahme einer Kick – und
dem geneigten Hörer mag einfallen, dass Pantha du Prince ja auch ein Club-act ist. Nun
erreicht die „Conference Of Trees“ ihr höchstes Energielevel, metallene Klänge, vor allem
Glocken bestimmen die Musik, die sich über Kick-Beats schichtet. „Supernova Spacetime
Drift“ ist mit seiner Melodiosität über dem vorwärts treibenden Beat der heimliche Hit und
der einem Pop-Publikum womöglich zugänglichste Track des Albums. Danach beruhigt sich
die Konferenz langsam wieder und klingt schließlich aus mit metallenen Interferenzen, die
bei aller Reibung nicht gegeneinander wirken, sondern eher ein unkonventionelles
Miteinander darstellen könnten. In gewisser Weise wird man zurück zum Anfang geführt,
aber nun ist alles anders. Und das gilt auch für den Hörer: Man kommt aus diesem
Klangerlebnis anders heraus, als man hineingetaucht ist.
Zur Verwirklichung der „Conference Of Trees“ hat Hendrik Weber ein höchst diverses
Quartett um sich versammelt, „ein guter, stabiler, dem Klimawandel trotzender Mischwald“,
wie er befindet: Håkon Stene ist Professor für Percussion an der Hochschule für Musik in
Freiburg, außerdem Forscher, Produzent und Künstler, der u.a. mit dem Ensemble Modern,
der London Sinfonietta, asamisimasa und auch schon mit Pantha du Prince zuvor gearbeitet
hat. Letzteres gilt auch für den Perkussionisten Bendik Hovik Kjeldsberg, der als Schlagzeuger
mit etlichen norwegischen Musiker*innen gespielt hat, außerdem Musik für Tanz- und
Theaterperformances und Filme komponiert hat. Friedrich Paravicini ist als Solokünstler und
Studio- bzw. Live-Begleitmusiker u.a. bei Lou Reed, Herbert Grönemeyer, Tocotronic und
Jochen Distelmeyer in Erscheinung getreten. Manuel Chittka schließlich hat als Schlagzeuger
bei Messer, Kreidler und Phantom Horse gespielt, aktuell tut er dies vornehmlich bei
Jungstötter.
Die im Konzept angelegte Vielstimmigkeit spiegelt sich nicht nur in der Auswahl der
beteiligten Musiker, sondern auch in der Produktionsweise wieder: Einerseits ist die
„Conference Of Trees“ ein Zurück zum Aufnehmen im Ensemble gespielter Musik, teilweise
bei Konzerten live mitgeschnitten. Andererseits ist es vor allem ein Patchwork
unterschiedlicher Musikproduktionspraktiken: Home Recordings, Studioaufnahmen,
Computerbearbeitungen und -produktionen. Bei der Montage dieser diversen Quellen
verfolgte Hendrik das Ziel, „eine Schönheit zu finden, die in ihrer Tiefe bestehen kann und
nicht gleich beim zweiten Hingucken wieder verfliegt oder klebrig wird. Eine Form präziser
Reinheit, die trotzdem organisch bleibt – nicht wie sonst bei Pantha du Prince manchmal:
mit der Rasierklinge und etwas kalt.“ Durch das enge Zusammenwirken im Ensemble ist die
Organisation des entstandenen Ganzen, „noch weniger hierarchisch als sonst.“
Was haben uns die Bäume also zu sagen? „Die zentrale Botschaft ist: Alles ist miteinander
verbunden. Wenn man das kapiert hat, erschließt sich so Einiges. Der Planet ist ein
Nervensystem, das seit einiger Zeit unter Stress steht. Jetzt müssen wir es aus dem
Stressmodus rausführen, erstmal Ruhe und Gelassenheit einkehren lassen. Aber ändern
müssen wir schon Einiges.“
Detlef Diederichsen