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Innpuls Musikimport
Schnipo Schranke
Veranstaltungsort: PMK
Viaduktbögen 19, 6020, Österreich
Beginn: 21:00 Uhr
Künstler: Schnipo Schranke

Übertrieben lieben, blind sein vor Liebe, viel zu ehrlich sein, viel zu direkt sein,

viel zu viel sein, viel zu viel wollen, Geschlechtsteile beim Namen nennen, Kette

rauchen, in Zwölftonmusik geschult sein, Melodien für Millionen schreiben, auf

das Popstarwerden warten, im Sitzen die Karriere starten, Lethargie haben,

Fehler machen, anhimmeln, sich klein machen, sich groß machen, Halt brauchen,

vor nichts Halt machen, Lover in der Hölle sehen, zarte Harmonien mit

Fäkalsprache paaren, hauptberuflich toben wollen, Schmerzen haben:

Schnipo Schranke sind Friederike Ernst und Daniela Reis, Jahrgang 1989 und

1988. Zwei Frauen, die sich an der Musikhochschule in Frankfurt über den Weg

gelaufen sind. Zwei Außenseiterinnen an Flöte und Cello, für die das Studium der

klassischen Musik sich schnell als seltsames Missverständnis entpuppt. Denen

das Leben zu schade ist, um es mönchischer Hochleistungsfanatik zu opfern. Die

bald merken, dass sie füreinander geschaffen sind. Die sich einigeln, um etwas

Neues, Anderes zu schaffen. Musik, die sie berühmt machen soll.

Beim Kurt-Krömer-Gucken fällt ihnen der Bandname vor die Füße: Schnipo

Schranke, ein Shortcut für „Schnitzel mit Pommes, Majonnaise und Ketchup“. Ein

früher Song (der es nicht auf’s Album geschafft hat, weil HipHop nicht mehr ihr

Ding ist) heißt „Beste Freunde“, ein Youtube-Hit für Gourmets und ein erster

Hinweis, das hier etwas Seltsames von großer Schönheit anrollt. Sie lassen die

Laptopkamera das Video drehen: zwei dünne Ladys in Jogginganzügen, die in

einem winzigen Zimmer zwischen Matratze und Schreibtisch dancen, sich am Po

kratzen und am E-Piano Zeilen wie „Meine Ohren bluten schon, / Halt die Fresse

Hello-Kitty-Pyjama“ rappen. Es ist das Zimmer, in dem die beiden gewohnt

haben, eine schöne Zeit soll es gewesen sein. Daniela war zu Fritzi gezogen,

einer Lebenskrise wegen, die etwas mit Liebe zu hatte.

Liebe, natürlich. Von Liebe, von ihrem Scheitern, von ihrem Schrecken und ihrer

Schönheit, vom Lieben und Liebe machen, von der Frage, ob das jetzt Liebe

gewesen ist oder doch nur Sehnsucht oder einfach ein Fehler: Davon handelneigentlich alle Songs von Schnipo Schranke. Und nicht nur eigentlich, sondern

tatsächlich: alle Songs, Punkt. Weil es nichts Wichtigeres gibt. Auch „Pisse“

handelt davon, der erste große Erfolg, die erste Veröffentlichung –

herausgekommen auf dem Sampler „Keine Bewegung“ des Berliner Labels

Staatsakt und dann rumgereicht im Internet. Weil bei Minute 03:36 ein Penis ins

Bild kommt, hat Youtube das „Pisse“-Video sperren lassen, jetzt kann man es

und ihn auf Vimeo ansehen und auf Youtube gibt’s das nur noch mit Standbild.

„Huhu also ich mag das lied“, heißt es in einem Kommtar darunter. „Aber kann

mir bitte jemand sagen, ob das satirisch gemeint ist, dass mit ‚brauche jemand

der mich knallt’ oder warum singt sie das?????!!!“

Ja, warum bloß? Und warum zum Teufel singen die jungen Frauen bei den

Konzerten von Schnipo Schranke das auch noch lauthals mit? Sogar in der Roten

Flora? Weil es großartig ist, weil es ehrlich ist. Weil Schnipo Schranke sich nackig

machen. Weil sie dieses bezaubernde Talent haben, das Pop so existentiell und

groß macht: Sie können über ihre Schwächen singen. Ganz bestimmt ist das

auch feministisch, aber Schnipo Schranke machen es nicht aus politischen

Gründen. Sondern weil sie was Großes schaffen wollen. Fehler ist King, wie es

einst Knarf Rellöm in der Ursuppe der Hamburger Schule sang – und nach

Hamburg sind Schnipo Schranke dann ja auch gezogen. Weil ein paar gute

Menschen in dieser Stadt ihren Humor und seine Abgründe zu verstehen

scheinen.

Und jetzt das Album. „Satt“ heißt es. Schluss mit dem Youtube-Spaßband-

Dasein, her mit den dunklen Gefühlen, her mit der Übersteuerung, her mit den

krautigen Störgeräuschen, den glitzernden Synthie-Kaskaden, die die einfachen

und doch so cleveren Piano-Akkordfolgen zart umspielen. Von Ted Gaier in den

Katakomben des Art Blakey Studio sanft in Richtung Psychedelik und Erhabenheit

geschubst, haben Fritzi Ernst und Daniela Reis ihren Sound zwischen 80er-

Elektronik und 70er-Orgeln gefunden. Eine Rockband aus Klavier, Schlagzeug

und zwei Stimmen. „Ne Kurze und ne Kranke, zwei Peanuts, ein Gedanke“,

singen Schnipo Schranke im Album-Opener. Doch das stimmt nicht. Diese beiden

Frauen sind keine Peanuts. Sie sind ganz große Nüsse.

Autor: Christoph Twickel