Was Mads aber meinte, war folgendes: „Wir lieben es, mit den Erwartungen zu brechen. Unser Debüt war sehr poppig, obwohl wir wussten, dass die Leute den Punk-Spirit unserer Live-Shows feierten. In den letzten Monaten hörten wir oft, dass wir das Zeug für einen amtlichen Radio-Hit hätten, aber wir wollten diesmal nur die Songs aufnehmen, für die wir auch wirklich brennen. Und wir wollten sie überwiegend live einspielen. Es gab drei oder vier Stücke mit mehr Radio-Potential, als alles, was wir jemals geschrieben haben – aber die haben wir bewusst weggelassen.“ Genau diese Einstellung erklärt auch, warum Mads nicht angepisst war, als Kritiker an ihrem selbstbetitelten Debüt monierten, es habe nicht die raue Kraft ihrer Konzerte einfangen können. „Das wollten wir ja nie. Im Rückblick finde ich es eher schade, dass wir es nicht noch glatter gemacht haben. So saß es irgendwie zwischen den Stühlen. Aber wir sind eher glücklich drüber, dass es diese Reaktion provoziert hat. Unsere Shows waren damals ziemlich umhyped und jeder hat uns vollgelabert, wie punk wir auf der Bühne seien. Also dachten wir uns: Was ist das punkigste, was wir an diesem Punkt machen können? Ein Pop-Album!“
Langweilig wird es mit den beiden Herren also so schnell nicht. Mads Damsgaard Kristiansen und Esben Valløen, die ihre Karriere 2009 unter dem Namen Reptile & Retard begannen und sich weniger später in Reptile Youth umbenannten, wollen es sich nicht in einer Schublade gemütlich machen – und, wie Mads es sehr schön formuliert: „Wir wollen mehr sein als zehn MP3s auf deinem Computer. Deshalb haben wir uns auch damals in Reptile Youth umbenannt. Wir möchten eher als Bewegung wahrgenommen werden, als eine Art Rahmen, in dem vieles passieren kann. Die Reptile Youth sind nicht nur Esben und ich, sondern die Menschen, mit den wir zusammenarbeiten, die Leute, die auf unseren Konzerten sind, die Kunst, die um uns herum passiert.“ Erkennbar wird dieser Spaß an der Kollaboration auch an diesem Album: „Das Artwork stammt von dem südafrikanischen Fotografen Roger Ballen, den viele ja von seiner Arbeit mit Die Antwoord kennen. Im Studio haben wir diesmal mit Jens Benz und Simon Littauer gearbeitet, die wir beide sehr schätzen. Jens ist einer der interessantesten Produzenten in Dänemark zur Zeit. Die aktuellen, wirklich guten dänischen Punkplatten sind von ihm – zum Beispiel das Album von Iceage. Und Simon ist ein guter Freund von uns – er spielt auch bei Broke, mit denen wir auf Tour waren.“ Für das Mixing zeichnet sich Brian Thorn verantwortlich, der schon an Alben wie Bowies „The Next Day“ oder „The Suburbs“ von Arcade Fire mitwirkte, das Mastering übernahm Joe Lambert, in dessen Portfolio Alben wie „Merriwether Post Pavillion“ von Animal Collective oder „High Violet“ von The National zu finden sind.
Es gibt aber auch andere, obskure Wege, um Teil des Reptile Youth-Kosmos zu werden. Auf dem Debüt fand sich plötzlich eine junge Dichterin, die Mads in China kennenlernte, als Protagonistin in „Be My Yoko Ono“ wieder, auf „RTRFASTIG“, ist es die erste Single „JJ“, die lyrisch hervorsticht. „Es gibt da diesen Typen, dessen Initialen JJ sind. Er ist seit 22 Jahren schwer drogenabhängig und raucht Heroin. Außerdem ist er seit langem ein Fan von uns. Irgendwie hat er dann meine Mailadresse herausbekommen und angefangen, mir zu schreiben. Verstörende Mails, die brutal und schön zugleich sind. Er ist da wie ein Kind und schreibt ungefiltert, was er denkt. Wir mailen uns seit einer ganzen Weile und irgendwann verriet er mir, dass die längste Drogenpause, die er hatte, acht Tage lang war. Er war damals in einer guten Stimmung und wollte seinen Rekord brechen. Ich versprach ihm, einen Song für ihn zu schreiben, wenn er das schafft. Es wurden am Ende zwölf Tage und wir schrieben uns in dieser Zeit täglich. Deshalb gibt es jetzt ‚JJ’, in dem ich auch einige Zeilen aus seinen Mails verwende.“ Der Kontrast zwischen der hymnischen Komposition, die auf kraftvolle Gitarren über geradezu funkigen Basslines setzt, und den dunklen Lyrics steht Reptile Youth dabei sehr gut. „JJ“ wird Ende Februar erscheinen – mit einem grandiosen Remix von Trentemøller, der die Klangfarbe des Songs sogar noch weiter verdüstert.
Am meisten brennen Mads und Esben aber darauf, ihr neues Material auf die Bühne zu bringen. Und sie werden sich auch mit diesem Album wieder im besten Wortsinn den Arsch abtouren. Schon zum Debüt spielten sie rund 150 Shows auf der ganzen Welt. Mit „RTRFASTIG“ wird es nicht anders sein. „Meine Booker haben mir gesagt, dass ich ab Ende Februar bis Weihnachten kein freies Wochenende haben werde“, sagt Mads und lacht doch tatsächlich dabei. Unglaublich, was dieser Typ für eine Kondition haben muss. Eine Reptile Youth-Konzert ist nämlich kein Stehkonzert – Mads ist auf der Bühne ein blonder Derwisch, der sich das Shirt vom Leib reißt, kopfüber in die Menge springt, sich bisweilen gar auf den Boden wirft und dabei so manisch zuckt, wie es die schnelleren Stücke von Reptile Youth tun. „Es ist großartig, dass wir endlich zwei Alben haben, mit denen wir unsere Show befeuern können. Wir wissen, dass wir live schon jetzt eine Macht sind. Mit diesen Songs könnte es noch besser werden!“