Es gibt auf dem neuen Kreisky-Album kein Meer, kein versunkenes Inselreich und keinen Indiana Jones, der danach taucht. Und doch ist der Titel „Atlantis“ ein guter Schlüssel, um den neuen Stücken auf den Grund zu gehen. Kreisky sind hier auf der Suche nach Mystischem und Verschollenem, nach den Überresten der eigenen Jugend, nach zu Tode justierten Idealen, nach unwiderruflich Verlorenem.
Menschen brechen in diesen Liedern, Menschen werden gebrochen, Menschen isolieren sich, um nicht gebrochen zu werden, oder aber – und das ist in seinem offen zur Schau gestellten Optimismus ein deutliches Novum für die "Großmeister des Grant" – sie lassen sich nicht brechen. "Wenn einer sagt, was du da machst, ist der letzte Dreck – sag: Es ist mein Dreck!"
„Atlantis“ ist die bis dato musikalisch wie textlich ausgefeilteste und beziehungsreichste Platte dieser singulären Band. Es finden sich darauf keine in die Länge gezogenen Slogan-Jingles sondern penibel ausgefeilte Kurzgeschichten in Text, Sound und Arrangement. Exemplarisch zu finden im soundtrackhaft impressionistischen Titel-Opener, im Coming-of-Age-Epos „Lonely Planet“ oder in der fiesen Vorab-Single „ADHS“.
Ein kleines Wunder von einem Song, wie nur Kreisky es zustande bringen, ist „Kilometerweit Weizen“. Da klingt die Gitarre wie ein an Burn-out laborierendes Altsaxophon, Sänger Franz Adrian Wenzl deklamiert eine leicht schiefe Geschichte arroganter Adoleszenz; ein nah am Schlager gebauter Refrain implodiert kurz vorm Schunkeln und schlägt ins Bedrohliche um. Ein Stück Traumlogik, das exemplarisch zeigt, wie nah sich das Böse und das Blöde, das Kluge und das Banale bei Kreisky (wie im echten Leben!) stets sind.
Sprach- und chancenlos treiben uns die Charaktere in den nächsten Stücken entgegen. Das isolierte Unfall(?)opfer in „Abfahrt Slalom Super-G“, das Trost sucht, aber Schisport findet. Oder der Junge in „Ein Fall fürs Jugendamt“, der es nie zu etwas bringen wird. So ehrlich muss es ihm sein Vater leider schon sagen.
Es folgt der Krautrock-Monolith „Meine Zunge ist leer“, eigentlich ein passendes Schlußstück ganz in der Tradition anderer brachialer Kreisky-Schlußstücke - wenn die Band das Album nicht bewusst ganz anders ausklingen lassen würde. „Atlantis“ endet mit „Wenn einer sagt“ in einem fast sakralen Stück Selbstermächtigungspop. In seinen letzten Zeilen drückt das Stück dann auch das musikalische Selbstverständnis der Band aus: “Wenn einer sagt, mach es wie wir, so machen es die meisten – sag: Nein, das kann und das will ich mir nicht leisten!”
In einem populärkulturellen Umfeld, in dem vieles austauschbar und fast alles hochprofessionell langweilig ist, sind Kreisky immerhin und immer eines: nämlich Kreisky. Und somit unersetzlich.